

Ukraine meldet massive Angriffe auf Kiew - Austausch von Kriegsgefangenen fortgesetzt
Inmitten eines großen Gefangenenaustauschs mit der Ukraine hat Russland die ukrainische Hauptstadt Kiew mit massiven Angriffen überzogen. Mindestens 17 Menschen seien in der Nacht zu Samstag in Kiew und der angrenzenden Region verletzt worden, teilte die Polizei mit. Beide Länder setzten derweil den am Freitag begonnenen Austausch von Kriegsgefangenen fort und übergaben am Samstag nach Angaben Moskaus je 307 Gefangene. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte verschärfte Sanktionen, um Moskau zu einer Waffenruhe zu bewegen.
Insgesamt setzte Russland bei den nächtlichen Angriffen nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe 14 Raketen und 250 Kampfdrohnen ein. Sechs russische Iskander-Raketen und 245 Schahed-Drohnen seien abgefangen worden. Kiew sei das "Hauptziel" der Angriffe gewesen. Die Stadtverwaltung berichtete am Samstagmorgen von Bränden und herabgestürzten Trümmern in mehreren Teilen der Stadt. Journalisten der Nachrichtenagentur AFP hatten in der Nacht mehrere Explosionen in Kiew gehört.
Am Freitag waren nach ukrainischen Angaben bei russischen Attacken in den südlichen Regionen Odessa und Cherson insgesamt fünf Menschen getötet worden. Das russische Militär erklärte, die Ukraine habe seit Dienstag mit 788 Drohnen und Raketen Ziele in Russland angegriffen. Der Großteil davon sei abgefangen worden.
Selenskyj rief dazu auf, den Druck auf Russland zu erhöhen. Moskau könne nur durch "zusätzliche Sanktionen, die auf Schlüsselsektoren der russischen Wirtschaft abzielen", zu einer Waffenruhe bewegt werden, schrieb Selenskyj im Onlinedienst X. Die Angriffe auf Kiew seien ein weiterer Beleg dafür, dass Russland den Krieg in die Länge ziehen wolle. Der ukrainische Präsidialamtschef Andrij Jermak warf Moskau ebenfalls vor, alles zu tun, "um einen Waffenstillstand zu verhindern und den Krieg fortzusetzen".
Russland und die Ukraine hatten am Freitag mit dem umfassendsten Austausch von Kriegsgefangenen seit Beginn des Konflikts begonnen, in dessen Verlauf insgesamt jeweils 1000 Gefangene an das andere Land übergeben werden sollen.
Am Freitag gaben beide Seiten jeweils 390 Gefangene zurück, unter ihnen 270 Soldaten und 120 Zivilisten. Am Samstag seien 307 russische Militärangehörige aus ukrainischer Gefangenschaft entlassen worden, erklärte das russische Verteidigungsministerium. Sie seien zunächst nach Belarus gebracht worden. Dort würden sie "medizinisch und psychologisch" versorgt. Im Gegenzug seien 307 ukrainische Kriegsgefangene an ihr Heimatland übergeben worden. Für Sonntag sei ein dritter Austausch geplant, erklärte Selenskyj.
Der Austausch war bei den ersten direkten russisch-ukrainischen Gesprächen seit drei Jahren in Istanbul vor einer Woche vereinbart worden. Russland hatte angekündigt, der Ukraine nach Abschluss des Austauschs seine Bedingungen für eine Beilegung des Krieges mitzuteilen.
"Sobald der Gefangenenaustausch beendet ist, sind wir bereit, der ukrainischen Seite den Entwurf eines Dokuments zu übergeben, den die russische Seite derzeit abschließend überarbeitet", hatte Außenminister Sergej Lawrow am Freitag erklärt. Lawrow zufolge soll der "Dokumentenentwurf die Bedingungen eines dauerhaften, globalen und langfristigen Abkommens über die Regelung" des Ukraine-Konflikts darlegen. Auch die Ukraine soll ein entsprechendes Dokument vorbereiten, wie bei den Gesprächen in Istanbul vereinbart worden war.
Die diplomatischen Bemühungen um ein Ende der Kämpfe waren in den vergangenen Wochen intensiviert worden. Kreml-Chef Wladimir Putin ließ europäische Forderungen nach einer bedingungslosen Waffenruhe aber ins Leere laufen. Er zeigt bislang auch keine Bereitschaft, von seinen Maximalforderungen abzurücken: die Kontrolle über die von Russland annektierte Halbinsel Krim und mindestens vier weitere ukrainische Regionen, den Verzicht der Ukraine auf einen Nato-Beitritt und ihre Entmilitarisierung.
J.Schmid--BP